Kritische Infrastrukturen (KRITIS) bilden die Lebensadern moderner Gesellschaften. Ihre Verfügbarkeit, Integrität und Ausfallsicherheit sind essenziell – sei es bei der Strom- oder Wasserversorgung, im Gesundheitswesen, in der IT oder im Verkehrssektor. Entsprechend hoch ist das Schutzbedürfnis gegen physische Gefahren wie Sabotage, Einbruch, Vandalismus oder Spionage.

In der Sicherheitsplanung wird jedoch eine bauliche Schwachstelle häufig unterschätzt: das Fenster. Besonders in erreichbaren Bereichen stellen sie potenzielle Eintrittspunkte für unbefugte Zugriffe dar. Die DIN EN 1627 definiert mit den Widerstandsklassen RC2 bis RC6 klare Anforderungen für einbruchhemmende Bauelemente – doch wo ist welche Klasse erforderlich?

Fenster als kritische Schwachstelle der Gebäudehülle

Einbrecher – ob opportunistisch oder gezielt – wählen bevorzugt dort anzugreifen, wo die Eintrittswahrscheinlichkeit am höchsten und der Aufwand am niedrigsten ist. Fenster bieten in vielen Fällen genau diese Kombination – insbesondere wenn sie:

  • im Erdgeschoss liegen oder

  • über Außentreppen, Anbauten, Geländesprünge, technische Infrastruktur oder Fahrzeuge leicht erreichbar sind.

Täter mit stabiler Standposition und Werkzeugen wie Schraubendrehern oder Brechstangen benötigen oft nur Sekunden, um ungesicherte Fenster zu überwinden. Siehe Beispiel im folgenden Video:

RC3 – notwendig bei leicht erreichbaren Fenstern

Die Widerstandsklasse RC3 schützt gegen Täter mit erweitertem Werkzeuggebrauch (z. B. Brechstange, Schraubendreher, Hammer) und bietet mindestens 5 Minuten Widerstandsdauer – eine Zeitspanne, die viele Täter zum Aufgeben zwingt.

RC3 ist erforderlich bei:

  • Erdgeschossfenstern sicherheitsrelevanter Räume (z. B. Leitstellen, Netzsteuerungen)

  • Fenstern in oberen Geschossen, die über bauliche Gegebenheiten stabil erreichbar sind (Außentreppen, niedrigere Anbauten, angrenzende Container, Hanglagen)

  • Fensterfronten in sensiblen Bereichen wie Serverräumen, Labors oder Sicherheitsbüros

RC3-Fenster verfügen über geprüfte Gesamtsysteme aus Rahmen, Verglasung und Beschlägen – sie verzögern systematische Angriffe erheblich und tragen zur Widerstandsfähigkeit der baulichen Außenhaut bei.

RC2 – ausreichend bei erschwerter Erreichbarkeit

Fenster, die nur mit Hilfsmitteln wie Leitern erreichbar sind und keinen stabilen Standpunkt für Angreifer bieten, stellen ein deutlich geringeres Risiko dar. Hier kann RC2 eine angemessene Schutzmaßnahme sein, sofern folgende Bedingungen erfüllt sind:

  • Keine baulichen oder natürlichen Kletterhilfen in der Nähe

  • Kein ebenerdiger Zugang

  • Keine technischen Anlagen, die als Aufstiegshilfe dienen

RC2 bietet Schutz gegen Gelegenheitstäter mit einfachen Werkzeugen und mindestens 3 Minuten Widerstandsdauer.

Es gilt aber trotzdem die Einzelbetrachtung, da jedes Objekt, jede Fassade und jede Nutzung eigenständig zu bewerten ist. Auch ein Fenster im Obergeschoss kann hochgefährdet sein – etwa bei angrenzenden Gebäudeteilen, Fahrzeugdächern oder besonderen Topografien. Umgekehrt kann ein Fenster im Erdgeschoss mit baulicher Abschirmung oder niedriger Attraktivität ein geringeres Risiko aufweisen.

RC4 und höher – für hochsensible Bereiche mit gezielter Angriffsgefahr

Die Widerstandsklasse RC4 (und darüber hinaus RC5 / RC6) ist für besonders hochgefährdete Schutzobjekte vorgesehen. RC4 schützt gegen Täter mit schwerem Einbruchswerkzeug (z. B. Stemmeisen, Akkubohrer, Vorschlaghammer) und verlangt mindestens 10 Minuten Widerstand. Diese Klasse kommt zum Einsatz, wenn ein gezielter, vorbereiteter Angriff nicht ausgeschlossen werden kann – etwa durch organisierte Tätergruppen oder durch Insiderwissen.

Anwendungsbereiche für RC4 und höher:

  • Rechenzentren mit Hochverfügbarkeitsanforderungen

  • Kommandozentralen der Energie- und Verkehrssteuerung

  • Sicherheitsbereiche von Nachrichtendiensten oder Polizei

  • Laborbereiche mit Bio-/Chemikalienrisiken

  • Sicherheitsbereiche für kritische Softwareentwicklungen oder Verschlüsselungssysteme

  • Verteidigungs- oder Rüstungsbetriebe

RC4 ist meist Teil eines mehrschichtigen Sicherheitskonzepts, das auch elektronische Detektion, Zutrittskontrolle, Videoüberwachung und organisatorische Maßnahmen umfasst. Der Einbau erfolgt ausschließlich durch spezialisierte Fachunternehmen mit dokumentierter RC-Erfahrung.

Zusammenspiel mit anderen Sicherungsebenen

Einbruchhemmende Fenster entfalten ihre Wirkung nur im Zusammenspiel mit weiteren Sicherungskomponenten:

  1. Zertifizierte RC-Bauelemente: Fenster, Rahmen, Glas, Beschläge – geprüft als Einheit

  2. Fachgerechter Einbau: Keine Nachrüstung ohne statische und sicherheitstechnische Prüfung

  3. Elektronische Detektion: Glasbruchsensoren, Alarmsysteme

  4. Zugangskontrolle & Perimeterschutz: Zäune, Geländesensorik

Sicherheit beginnt bei der Hülle – aber endet dort nicht

Einbruchhemmende Fenster in kritischen Infrastrukturen sind kein Luxus, sondern ein notwendiger Teil der Risikovorsorge. Der differenzierte Einsatz von RC2 bis RC4 – und bei Bedarf darüber hinaus – erhöht die Widerstandsfähigkeit der baulichen Außenhaut und verhindert, dass Angreifer durch einfache Mittel in hochsensible Systeme eindringen.

RC2 genügt bei erschwerter Erreichbarkeit.
RC3 ist Standard bei bodennahen, leicht zugänglichen Fenstern.
RC4 und höher schützen dort, wo Angreifer mit schwerem Gerät, Planung und Zielsetzung zu erwarten sind.

Entscheidend bleibt: Die Einzelbetrachtung jedes Fensters im Gesamtkontext der Gebäude- und Nutzungssituation ist unerlässlich. Nur so lassen sich technische, wirtschaftliche und regulatorische Anforderungen wirksam in Einklang bringen.